CORPORATE FINANCE
Unternehmensbewertung in dominierten Situationen: Erweiterungen und Alternativen zu IDW S1

Unternehmensbewertung in dominierten Situationen: Erweiterungen und Alternativen zu IDW S1

hbfm_1302m01a0a.png

Liebe Leserinnen und Leser,

im November 2004 erschien in der FAZ ein Artikel, in dem die Autoren, der Investmentbanker Christian Kames von Goldman Sachs und der Finance Professor Frank Richter aus Ulm, auf die spekulativen Aktivitäten von Hedge Funds bei Squeeze Out Verfahren in Deutschland hinwiesen. Die Verfasser zeigten, dass eine Besonderheit in den damaligen Grundsätzen des IDW zur Durchführung von Unternehmensbewertungen S1 die Spekulation auf eine nachträgliche gerichtliche Erhöhung des Abfindungsangebots durch die Anwendung des dort fixierten Ertragswertverfahrens nachhaltig befeuerte. Die Besonderheit hatte ihre Wurzel in der von IDW S1 festgelegten, aber international kaum gebräuchlichen Einbeziehung von persönlichen Einkommensteuern in die Unternehmensbewertung und lag in der unterschiedlichen Besteuerung von Zähler- und Nennergröße bei der Wertermittlung. Sie führte zu einer systematischen Verzerrung der so berechneten Unternehmenswerte nach oben. Hedge Funds erwarben daher in Erwartung einer nochmals erhöhten Abfindung gezielt Anteile von Unternehmen, nachdem diese ein Abfindungsangebot an ihre Minderheitsgesellschafter bei einem GAV oder einem Squeeze Out abgegeben hatten. Die so ausgelöste Spekulation hatte als einen unerwünschten Nebeneffekt zur Folge, dass die betreffenden Gesellschaften daraufhin den abzufindenden Minderheiten zunächst deutlich niedrigere Abfindungen anboten, um diesen Effekt auszugleichen.

Das entsprechende steuerliche Detail in S1 wurde im Zuge der Berücksichtigung des Halbeinkünfteverfahrens bei der Anpassung der Grundsätze geändert; dennoch ist der Fall ein gutes Beispiel für die gravierenden Nebenwirkungen, die sich aus dem deutschen Sonderweg der Grundsätze IDW S1 ergeben können. Auch heute hat die international unübliche Berücksichtigung von persönlichen Einkommensteuern in der aktuellen Fassung von IDW S1 erhebliche Nebenwirkungen auf das Bewertungskalkül und die damit ermittelten Unternehmenswerte: Um die lt. IDW „nicht sachgerechten, steuerlich induzierten Werteinflüsse“, die sich aus der geforderten Einbeziehung von Einkommensteuern ergeben können zu eliminieren, sind auch in der aktuellen Fassung einige zusätzliche Annahmen erforderlich, die wiederum unerwünschte Nebenwirkungen bei der Wertermittlung zur Folge haben. Die Ertragswertmethode unterstellt eine exogen fixierte Ausschüttungspolitik, während in DCF Kalkülen regelmäßig die Kapitalstruktur fixiert wird. Bei der Ermittlung des Terminal Value wird zwangsweise differenziert zwischen „thesaurierungsbedingtem“, annahmegemäß wertneutralem, und „inflationsbedingten“ Wachstum, das auf das nominale thesaurierungsbedingte Wachstum aufgeschlagen wird. Aufgrund dieser unterschiedlichen Annahmen ist es möglich, dass selbst bei Verwendung von identischen Ausgangsdaten die IDW Ertragswertmethode zu ganz anderen Unternehmenswerten führt als die im Zuge des Transaktionsprozesses ansonsten schwerpunktmäßig verwendeten DCF Bewertungskalküle. Im Rahmen des Transaktionsprozesses stellt das Ertragswertverfahren somit im Vergleich mit den anderen Bewertungsmethoden, die zur Preisfindung, aber auch nach Abschluss der Transaktion beim Impairment zum Ansatz kommen, einen Fremdkörper dar.

Die Arbeitsgruppe „Corporate Transaction and Valuation“ der DVFA hat im November 2012 Best Practice Empfehlungen zur Unternehmensbewertung bei dominierten Bewertungssituationen publiziert (Download unter: www.dvfa.de/publikationen/dvfa-finanzschriften/dok/35725.php). Sie haben das Ziel, eine Angleichung der Vorgehensweisen bei der Wertermittlung entlang des Transaktionsprozesses zu erreichen und auf diese Weise die aktuell bestehende, durch die Anwendung deutlich abweichender Grundsätze verursachte Unsicherheit zu verringern. Die Empfehlungen sollen als Grundlage für die Ermittlung und ggf. gerichtliche Überprüfung von Unternehmenswerten in dominierten Situationen dienen; hierzu zählt insb. die angemessene Abfindung bei einem „Squeeze-out“. Die Empfehlungen behandeln neben den Diskontierungsfaktoren (Ertragswert bzw. DCF Verfahren) insbesondere das sachgerechte Vorgehen bei einer Multiplikator-gestützten Wertermittlung. Auf diesem Weg wird die Lücke zwischen der weit verbreiteten Anwendung dieser Bewertungsmethode in der Transaktionspraxis und ihrer nahezu vollständigen Negierung in den Grundsätzen IDW S1 geschlossen.

Einige der entwickelten Empfehlungen mögen im Vergleich zum bisherigen Vorgehen prima facie gewöhnungsbedürftig erscheinen. So bedeutet die empfohlene Methodenvielfalt zusammen mit der Diskussion der Bewertungsergebnisse als Bandbreite eine deutliche Abweichung von der bisherigen Praxis, ausschließlich den Ertragswert als den „echten“ inneren Wert einer Aktie punktgenau zu berechnen. Auf der anderen Seite entspricht dies dem seit langem geübten Vorgehen bei der Unternehmensbewertung in der Transaktionspraxis. Es ist aus meiner Sicht kein Grund erkennbar, warum man den Parteien in dominierten Situationen die Anwendung von Bewertungsverfahren verwehren sollte, auf die sie bei freier Methodenwahl mehrheitlich zurückgreifen.

Ihr

Bernhard Schwetzler

Prof. Dr. Bernhard Schwetzler ist Leiter des CCT Center for Corporate Transactions und des Lehrstuhls Finanzmanagement und Banken an der HHL Leipzig Graduate School of Management und Mitherausgeber von CORPORATE FINANCE biz, E-Mail: bernhard.schwetzler@hhl.de.

Prof. Dr. Bernhard Schwetzler